Dienstag, 21. Juni 2011

Das Märchen von der Traurigkeit

Es war einmal eine kleine Frau, die einen staubigen Feldweg entlanglief. Sie war offenbar schon sehr alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.
Bei einer zusammengekauerten Gestalt, die am Wegesrand saß, blieb sie stehen und sah hinunter.

Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Decke mit menschlichen Konturen.

Die kleine Frau beugte sich zu der Gestalt hinunter und fragte: "Wer bist du?"

Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.

"Ach die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.

"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch.

"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."

"Ja aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?"

"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"

"Ich..., ich bin traurig", sagte die graue Gestalt.

Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."

Die Traurigkeit seufzte tief.
"Ach, weißt du", begann sie zögernd und auch verwundert darüber, dass ihr tatsächlich jemand zuhören wollte, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest."

Die Traurigkeit schluckte schwer.
"Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: 'Papperlapapp, das Leben ist heiter.' und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: 'Gelobt sei, was hart macht.' und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: 'Man muss sich nur zusammenreißen.' und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: 'Nur Schwächlinge weinen.' und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."

"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir auch schon oft begegnet..."

Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen.
"Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu."

Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel.

"Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt."

Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: "Aber..., aber – wer bist du eigentlich?"

"Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd. "Ich bin die Hoffnung."

Von Inge Wuthe

so einfach ist das also??? wir müssen einfach mal traurigkeit zulassen, dann ängstigt sie uns nicht mehr. sie gehört zum leben dazu. wenn wir sie zulassen, richtet sie auch keinen schaden an ...

schöne geschichte

Montag, 20. Juni 2011

Замечательная идея

seit tagen bzw. schon seit wochen habe ich das bedürfnis, gefühle von mir und aus mir heraus aufzuschreiben. sie könnten in den blog, habe ich so gedacht. und dann als nächstes: nein, bloß nicht. soll nicht jeder lesen. dann wieder: wieso eigentlich nicht? ist doch nichts schlimmes, nichts verächtliches, nichts verwerfliches. nur irgendwie sehr persönlich, macht angreifbar, verletzlich.

noch verletzlicher …

und da hat doch tatsächlich ein lieber mensch einen beitrag in seinem blog komplett in russischer sprache veröffentlicht. eine herrliche idee. so ist gesichert, dass diese zeilen wohl wirklich nur die menschen lesen, die interesse haben und ihm nahestehen, die an seiner welt und seinen gedanken teilhaben möchten.

ich? ja, ich habe mir die mühe gemacht, den text zu übersetzen. google sei dank. wobei auch das noch recht schwierig war, denn oft werden dinge durch den übersetzer aus dem zusammenhang gerissen und müssen gedanklich neu sortiert werden.

gedanklich neu sortiert werden …

mein letzter beitrag „auszeit“ hat wohl andeutungsweise schon ausgedrückt, wie es in meinem kopf so aussieht. nicht immer, aber immer öfter. alles zu viel. zu viele gedanken, die dann wiederum zu zu vielen gefühlen werden, sich alles im kreise dreht und ein sortieren unmöglich ist. ein kreis, aus dem auszubrechen schier unmöglich erscheint. und doch weiß ich, dass irgendwann eine kleine lücke im labyrinth entsteht, durch die ich entfliehen kann. nur wann und wodurch, das weiß ich nicht. das wäre das zaubermittel. aber ich weiß ja auch nicht, wann und wodurch ich in diesen strudel der verwirrungen gerate, denn sonst könnte ich mich rechtzeitig davor schützen. auch ein zaubermittel, wofür mir „leidensgenossen“ vermutlich ein vermögen zahlen würden.

das ist wohl kein „burn out“, das klingt mehr nach midlife-crisis, oder mehr nach wechseljahren, oder doch eine handfeste depression?

vor etwa zwei jahren (vor etwa zwei jahren war all das zum ersten mal offenes thema, weil ich den wirklich richtigen hausarzt für mich gefunden habe) „durfte“ ich eine zeitlang pillchen schlucken, die die sonne ins herz bringen sollten. haben sie aber nicht. dafür haben sie jede menge kilos an meinem körper hinterlassen, die abzutrainieren dann nicht so einfach war. und, so die vermutung meines arztes, wenn die schilddrüse erstmal richtig eingestellt ist, dann beruhigt sich die psyche auch wieder. schilddrüsen sind nämlich auch für die seele verantwortlich.
sah auch ganz danach aus. anfangs. bis eben wieder die sogwirkung des seelenstrudels so groß wurde, dass ich im labyrinthenkreis der nie schweigenden gefühle gefangen wurde.
und die sind unberechenbar. sie machen manchmal einfach nur taub. taub und müde. dann wieder erscheinen sie wie rabenschwarze wolken, die unbesiegbare gefahr ankündigen. also am besten flüchten, vor was auch immer. verkriechen in sich selbst. hey, und das leben ist doch eigentlich so schön, verdammt. also lachen. fröhlich sein. sag allen, dass es dir gut geht. und während du so positiv darüber nachdenkst, setzt sich eine bescheuerte fliege auf deinen arm und scheint dich anzugrinsen: du bist so beschissen und nutzlos. hast du etwa eine daseinsberechtigung?

bescheuerte fliege. muss sie das ausgerechnet dann fragen, wenn ich anfange, wieder fröhlich sein zu wollen? habe doch gerade so hilfreiche tipps an eine freundin weitergeleitet und bei der gelegenheit gedacht, das könnte doch auch bei mir funktionieren. und dann sitzt sie da, die fliege.

du denkst über die welt nach, und möchtest eigentlich gar nicht mehr daran teilnehmen. an der welt. du denkst über die menschen nach, die du liebst, und scheinst vor lauter liebe fast zu zerschmelzen. dann überlegst du, ob du den menschen, die du liebst, überhaupt irgendetwas geben kannst, so von dir. oder ob die fliege vielleicht recht hat.

klingt alles ziemlich verworren und geistig nicht ganz bei der sache, was? aber versuche mal, ein bild zu malen, wenn du blind bist.

auf jeden fall ist eine logische folgerung aus all diesen komischen dingen eine art angst vor gefühlen. also einfach nicht an sich ranlassen. die gefühle, welcher art auch immer. weder die negativen noch die positiven. und nichts erwarten, dann kannst du auch nicht enttäuscht werden. ist doch ganz einfach, oder? funktioniert aber nicht! eine bemerkung, und schon stürzt das gedankenschutzhaus ein. schon dreht sich der sog in die andere richtung und die seele kann so schnell nicht folgen. halt an, schreit es in dir, halt an, ich muss erst nachdenken. vor- und nachteile sortieren, konsequenzen abschätzen. wenn ich nun a sage, ist dann jemand enttäuscht? und wenn ich nun b sage, vielleicht jemand anderes? und wenn ich c sage, bin ich dann unglücklich? was wiegt schwerer? was ist schlimmer?

der gedanke, welches der angenehmste weg ist, kommt gar nicht. komisch, oder? einfach fröhlich einen weg gehen ist in dieser situation schlichtweg unmöglich. so schön, dass jeder seinen weg gehen kann. aber meine scheinen sich irgendwie ständig zigmal zu gabeln. „tu, was du für richtig hältst“ rate ich meinen freunden. und kann es selbst nicht anwenden. weil ich nicht weiß, was ich für richtig halten soll.

nicht falsch verstehen. all dies nur in den phasen, in denen ich mich in diesem strudel befinde. bin momentan mittendrin. stelle dir einen strudel vor, der immer schneller wird. ich bin gerade kurz vor dem ende. und weiß trotzdem, dass der rettende fluchtweg, der strohhalm, die lücke im labyrinth, plötzlich auftauchen wird. von einem tag zum anderen. ich muss nur warten. was schwer fällt, bei all dem erdrückenden wasser, das du schluckst, während du versuchst, dich oben zu halten, um nicht sofort unterzugehen. und der bescheuerten sehnsucht, einfach nun endlich wirklich unterzugehen und nicht mehr gegen an kämpfen zu müssen.

das ist der fünfte strudel, wenn ich richtig zähle. der fünfte innerhalb von ca. 12 jahren. seltsam ist, dass diese strudel beginnen, wenn es keinen offensichtlichen grund dafür gibt. nicht etwa in stresssituationen oder bei angst. sondern einfach so, von einem tag zum anderen. als ich im februar die krebsangst hatte, war kein strudel da. da hatte ich sorgen und hatte angst, aber der „ganz normalen art“. da habe ich geweint, konnte mich aber trösten lassen. da war ich verzweifelt, aber nur kurz, um gleich darauf wieder kämpfergeist und lebenswillen zu demonstrieren.

dieser mein neuer strudel, der begann ganz schleichend anfang mai. unterbrochen von wirklich guten tagen. von hoffnung, dass es kein strudel werden würde. und er ist komplett ausgebrochen anfang der zweiten juniwoche. frag mich nicht, warum. ich kann dir keine antwort geben. aber ich weiß, dass in dieser strudelzeit ein auskommen mit mir kaum möglich ist. ich weine grundlos. ich weine mit grund. ich hasse mich. und ich liebe die menschen, die ich am allermeisten liebe, noch viel mehr, als ich sie normalerweise liebe. die liebe tut dann enorm weh, aus lauter sorge, dass die fliege recht hat und ich womöglich allen anderen nur sorge und kummer bereite und sie ohne mich bedeutend besser dran wären. wirre gedanken: sie belügen mich sicherlich, wenn sie sagen, sie brauchen mich, denke ich. dabei müssen sie mich gar nicht belügen. ich bin stark, ich kann die wahrheit verkraften, sagt mein strudelkrankes hirn. gute güte, wer kann das stoppen?
ich hasse die menschen, die ich sowieso schon nicht mag, mit einer inbrunst, die beängstigend ist. sie werden zu einer art monster vor meinem geistigen auge. sie sind eine bedrohung, ständig, immer, zu jeder zeit. ich bin auf der lauer, aggressiv. und ich bin in hoffnungsvoller erwartungshaltung auf zuwendung durch meine wichtigen menschen. wenn sie mir diese jedoch entgegenbringen, habe ich ein schlechtes gewissen, weil sie das ja sicherlich nur machen, um mir eine freude zu bereiten und selbst dafür auf irgendwas verzichten. auf was? weiß nicht, hab ich noch nicht drüber nachgedacht. soweit komme ich nicht, wenn ich im strudel bin.

beängstigend ist, dass die strudelzeiten sich verlängern. waren es anfangs nur ein paar tage, sind es heute schon wochen. und was passiert, wenn aus den wochen monate werden, und aus den monaten jahre, wenn ich mich nur noch in der strudelzeit befinde???



danke. danke fürs zuhören. ich fühle mich gerade irgendwie wie ein stück befreit. obwohl du wahrscheinlich kein wort verstanden hast und mich für irgendwie verrückt erklärst. Womit du momentan zweifellos wohl recht hast.
vielleicht hätte ich das alles doch auf russisch schreiben sollen. oder ägyptisch? jedenfalls möglichst noch unverständlicher, als es jetzt schon ist. oder eben gar nicht …

Замечательная идея

obwohl ich gerade ein wenig hoffe, die schadhafte stelle im strudel-labyrinth gesehen zu haben …

ich komme da wieder raus!!!

Пожалуйста, воздержитесь от благонамеренных советов на этот раз. они не помогают в водоворот